Vipera berus

Aus MasiWiki
Version vom 7. Dezember 2017, 22:04 Uhr von 2 (Diskussion | Beiträge) (→‎ZENTRALE BEGRIFFE)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen


ZENTRALE BEGRIFFE


Unveränderlichkeit: Kann sich nicht auf neue Erfahrungen einlassen. Versucht daher eine stabile, unveränderliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Will vollendet sein.
Widersetzt sich daher jedem Verbot, da dieses ihm vorzuführen scheint, dass es jemanden gibt, der schon weiter entwickelt, weitsichtiger, näher an der Vollendung ist als er selber.
Fürchtet, niemals die Vollendung zu erreichen, die er sich wünscht. Versucht kompensatorisch, einen abgeschlossenen Erfahrungsraum zu schaffen, frei von Veränderung. Meidet neue Situationen oder Störungen seiner Ordnung.

Fokus der inneren Aufmerksamkeit

Jede Erfahrung, die Vipera berus vorführt, dass er noch nicht vollendet ist, wirkt bedrohlich. Er neigt dazu, sich einen abgeschlossenen Erfahrungsraum zu schaffen, der für ihn völlig geordnet, überschaubar und regierbar ist. Jede Veränderung, jede neue Situation, jede Störung der Ordnung, jeder Verlust eines Gegenstandes nimmt daher seine Aufmerksamkeit gefangen und bedroht ihn.



Lesen Sie weiter...

Die Themenliste umfasst eine inhaltlich gruppierte Sammlung von Original Prüfungssymptomen

Wie zeigt sich das Leiden des Patienten? (Sekundäre Psora)

Wie kompensiert er sein Leiden? (Egotrophie, Egolyse, Alterolyse)

Wie lautet die eigentliche Hypothese „nach Masi“? (Primäre Psora)

Hier finden Sie spannende Interpretationen von einzelnen Themen oder Symptomen



THEMENLISTE


Hauptthemen
Das Leitmotiv gliedert sich in vier grosse Themenkomplexe: Erstens die Weigerung, neue Erfahrungen zu machen, zweitens das Einhalten von Ordnung, drittens Verbote und viertens Freiheit und Arbeit.


Die Symptome der Themen 1-10 stammen aus einer Kasuistik von Dr. Simonne Fayeton, diejenigen von Nr. 11 von Kent. Bei diesen beiden Symptomen kann man eine klinische Bestätigung voraussetzen. Die Symptome der Themen 12 und 13 treten bei allen Intoxikationen auf, man kann daher davon ausgehen, dass hier für das Arzneimittel typische Beschwerden auftreten, die auch zum Verständnis des Leitmotivs hilfreich sind. Bei den Themen 14-21 handelt es sich um Langzeiteffekte nach Intoxikationen.

1. Verbot
Als er ganz klein war, sagte man ihm: Fass das heisse Wasser nicht an, du wirst dich verbrennen! worauf er sofort hinging und es anfasste.
Er muss unbedingt seine eigene Erfahrung machen.
Er geht nicht mehr zur Messe, weil es (von der katholischen Kirche) so vorgeschrieben wird.

2. Zukunft
Furcht vor der Zukunft: Ich sehe keine Zukunft mehr, all die Arbeitslosigkeit, ich sehe mich obdachlos auf der Strasse, ich habe immer das Schlimmste erwartet, fürchte, als Clochard auf der Strasse zu enden.

3. Arbeit und Freiheit
Ich verstehe schon, dass man arbeiten müsste, aber ich habe einfach keine Lust dazu.
Alles hat sich verändert, früher musste der Mensch jagen, um zu überleben, heute muss er arbeiten. Es ist nicht die Anstrengung, die mich stört, sondern dass man dabei von einem Chef abhängig ist. Es gibt immer einen Höhergestellten über einem. Wenn das Anliegen mein eigenes ist, geht es noch, aber ich will nicht für das Ziel eines anderen arbeiten. Wenn man arbeitet, ist man wie eine Maschine, von acht bis zwölf, von vierzehn bis achtzehn Uhr. Bei der Schöpfung war das nicht so vorgesehen. Die Evolution hat sich durch Menschen verändert, die sich überlegen glaubten, es ist die reine Sklaverei. Man lebt in strengen Stundenplänen, es gibt weniger und weniger Freiheit. Mich wehren? Ich weiss nicht wie.

4. Sammeln und erhalten
Er mag es nicht, sein Geld auszugeben. Er zieht es vor, die anderen zahlen zu lassen, er lässt sein Geld bei der Sparkasse, er will nicht, dass sein Kontostand absinkt.
Er sammelt Dinge, weil er weiss, dass sie ganz von allein an Wert gewinnen werden, ohne dass er arbeiten muss.
Er sammelt alles, hütet alles, es könnte eines Tages nützlich sein.
Als er klein war, weinte er um seine zu klein gewordenen Kleider; er wollte sie nicht hergeben, sondern aufbewahren, sie könnten ihm noch nützlich sein.
Er liebt alten Plunder, er wäre ein guter Antiquar. Selbst einen Nagel hebt er auf, weil er ihm eines Tages dienen könnte. Man fand in seinen Taschen einen Nagel, eine Schraube, die er in die Werkstatt des Vaters trug, damit sie verwendet werden könnten.

5. Trauer und Ärger
Trübsinnige Stimmung, schreckliche Trauer vor dem Essen.
Impuls zu laufen. Er glaubt, furchtbar ärgerlich zu werden, wenn er nicht läuft.
Genervt, verärgert, stumm, alles verdriesst ihn: du ödest, mich an.

6. Unbeweglichkeit und Ablehnung von Veränderung
Sehnsucht nach der Kindheit.
Er erträgt es nicht, Personen oder Orte zu verlassen. Er weinte, wenn er in die Ferien fahren musste, wenn er die Schule verlassen musste, wenn er wieder zur Schule gehen sollte, er weinte, dass er seine Grosseltern verlassen musste, nachdem er einen Monat bei ihnen verbracht hatte.
Er mag es nicht, seine Gewohnheiten aufzugeben; man soll in seinem Zimmer nichts verändern, man soll seine Nippes nicht anfassen.
Es ödet ihn an, "dass die Welt sich verändert hat", er möchte in der Zeit der Gallier leben, Asterix ist sein Idol. Er hat ein Zelt aufgestellt und ein Schild angebracht "gallisches Lager". Er hätte Gergovie (eine gallische Festung im Puy) sehen wollen.
Man soll die Traditionen nie verändern, mit siebzehn Jahren brauchte er noch einen Nikolaus aus Schokolade, die Eier zu Ostern und die Kerzen am Geburtstag. Es war etwas Absolutes, Weihnachten konnte man nur zu Hause verbringen, es wäre unmöglich gewesen, ihm Geschenke ins Krankenhaus zu bringen. Den Geburtstag vor oder nach dem eigentlichen Datum zu feiern oder Geschenke ausserhalb eines Festtermins zu machen, ist für ihn nicht möglich. Er war an seinem Geburtstag im Krankenhaus, man konnte das Fest nicht verschieben, keine Veränderung bitte.
Sobald man seine Pläne ändert, ist er brummig, hat keinen Hunger mehr, ist müde.
Ein sehr verschlossener, schweigsamer junger Mann, er drückt sich nicht aus, wagt es nicht einmal, zu einem Kollegen zu gehen.

7. Bösartigkeit
Lust, seinen Vater zu schlagen (der wohl ein wenig autoritär ist, ihn aber auch bewundert), er verträgt keinen Befehl. Er wartet darauf, ebenso stark zu werden wie sein Vater, um ihm alle Prügel zurückgeben zu können.
Er sagt von sich, er sei böse: "Ich habe nicht aufgehört zu meckern, ich habe die Kollegen Scheinheilige genannt, obwohl sie alles für mich getan haben, was sie nur konnten."

8. Vorstellungskraft — Hund, Katze, Dämmerung
Mag es nicht, wenn man das Licht anzündet.
Ängstlich in der Dämmerung.
Hat wie ein Bild vor den Augen: eine ausgestreckte Katze und ein neben ihr ausgestreckter Fisch, die auf etwas Rotem liegen.
Er liebt Hunde, er spielt den Hund, "wau, wau", man muss ihn kraulen und sagen "mein kleines Hündchen" (mit siebzehn Jahren).

9. Die offene Türe
Er kann nicht bei offener Tür schlafen, man muss unbedingt die Türe schliessen, er kann aber nicht sagen, warum.

10. Orthographische Fehler
Er macht anhaltend orthographische Fehler. Er liest ein Wort und schreibt es unmittelbar danach mit einem Fehler darin.

11. Zu Hause
Gemüt; will nach Hause gehen. Rep
Gemüt; Wahnideen; Zuhause; glaubt, er ist fort von. Rep

12. Schwellung
Tritt bei allen Vergiftungen in ausgeprägtem Ausmass auf. Bei einem Biss trat sogar eine Schwellung weit entfernt von der Bissstelle auf:
Gewaltige Schwellung der Zunge (obwohl in den Fuss gebissen). A 92
In einem Fall entwickelte sich eine Schwellung nach dem Kontakt mit einem Stock, mit welchem der Kopf einer Viper zerdrückt wurde.
Beispielhafte Symptome:
Schwellung wie ein Kropf am Hals, bleibt als chronische Folge. A 119
Schwellung des Abdomens, rasende Schmerzen und Krämpfe, sogar bis zur Ohnmacht; nach Milchtrinken Erbrechen einer grossen Menge von Rundwürmern; seit dieser Zeit war der Patient völlig frei von Würmerbeschwerden, die er vorher gehabt hatte. A 186
Der gebissene Finger wurde bläulich-schwarz, die Wunde war von riesigen Blasen umgeben, Hand und Arm gross aufgeschwollen, von grau-gelber Farbe, Skarifikation über der Wunde führte zum Aussickern von sehr schwarzem Blut. A 346
Der gebissene Fuss war bis zum Knie hoch geschwollen, hart und blaurot, er blieb mehrere Jahre lang geschwollen. A 396
Mund und Hals so ausgedörrt und geschwollen, dass es unmöglich war, irgendeine Flüssigkeit zu schlucken. A 104
Die ganze Extremität war sehr geschwollen und hart, mit Entzündung der oberflächlichen Venen; der Knabe beklagte einen völligen Empfindungsverlust in der Extremität. A 307

13. Farbveränderungen
Die Haut hat eine gelbliche Farbe. A 509
Bläuliche Flecke auf der Haut. A 513
Das gebissene Glied war bedeckt mit blauvioletten Flecken, wie Ekchymosen. A 514
Bläuliche Flecke erscheinen nach der Schwellung, sie sind sehr charakteristisch, rot, bläulich oder schwärzlich, wechselhaft in Farbton und Intensität bei verschiedenen Personen und an verschiedenen Gliedern; gewöhnlich beginnen sie ungefähr sechs bis zwölf Stunden nach dem Biss und hinterlassen nach dem Verschwinden einen grünlichen oder gelblichen Fleck, der einige Tage bestehen bleibt; sie bestehen aus echten Ekchymosen, manchmal gefolgt von gangränösem Schorf. A 515
Schwarze Petechien erstrecken sich über den ganzen Körper, welcher sich kalt anfühlt. A 516

14. Verschlimmerung durch Wetterwechsel
Bei jedem Wetterwechsel Stechen und Reissen in Knie und Kopf, nach fünfzig Jahren. A 387

15. Jährlich wiederkehrende Beschwerden
Zwölf Jahre litt sie unter der Wiederkehr der Schmerzen im gebissenen Glied zu der Jahreszeit, die der Jahreszeit des Bisses entsprach. A 337
Er hatte in jedem Jahr, das dem Biss folgte, beim ersten heissen Wetter eine schmerzhafte Schwellung des Beins, Kolik und Brechwürgen; die Verdauung war gestört; er war beeinträchtigt durch Schläfrigkeit, das Zahnfleisch wurde schwammig und seine Haut hatte einen ikterischen Farbton; er war frostig, mit grosser körperlicher und intellektueller Schwäche. A 416
Die Beschwerden, die auf den Biss folgten, hatten einen periodischen Charakter, die Krankheitssymptome neigten dazu, zurückzukehren. A 417

16. Entwicklungsstörung
Leute werden frühzeitig alt; die Entwicklung von Kindern wird aufgehalten. A 413

17. Gewebe- und Blutveränderungen
Z.B. Veränderungen der Blutfunktionen, das Fibrin war verändert, die Blutkörperchen waren weniger imstande, ihre eigentliche Funktion zu erfüllen, mit Tendenz zu Hämoptysis, vor allem Epistaxis; das Blut gerann unvollständig. A 414

18. Bewegung
Lähmung, Schwäche, müde Beine, Hinken, Stürzen; steife Knie, die sich beim Gehen nicht beugen lassen, kann seine Füsse nicht halten, kann seine Muskeln und Sehnen nicht bewegen.
vgl. A 338, 325, 327, 339, usw.

19. Ernährung
Exzessiver Durst, gleichzeitig vielfältige Entleerungsstörungen wie Erbrechen, Diarrhoe, Speichelfluss.
vgl. A 151, 152, 156, 195, 210-215, 310 usw.

20. Sehen
Verdunkelung des Sehens, obwohl er alles sehr genau hörte. A 53
Einige Minuten anhaltende Sehstörung während der grössten Heftigkeit des Anfalls, obwohl Stimmen nach wie vor erkannt wurden. A 55
Nach einem Biss in den Fuss Schwellung und Schmerz bis ins Abdomen; viele Jahre lang war das Bein weiterhin krank, wies manchmal gelbe, manchmal blaue Flecke auf und war schmerzhaft. Nach verschiedenen Medikamenten verschwanden diese Beschwerden plötzlich, und die Augen wurden befallen; nachdem sie lange Zeit gelitten hatte, wurde sie zwei Jahre lang vollständig blind. Dann wurden die Augen gebessert, aber die Krankheit befiel nun den ganzen Körper und bewirkte innere Schmerzen, in verschiedenen Teilen des Abdomens oder der Glieder. Zuletzt wurde sie grösstenteils empfindungslos. A 453

MIASMATISCHE DYNAMIK — SEKUNDÄRE PSORA


Zentral ist die Furcht vor jeder Veränderung, verbunden mit dem Gefühl, niemals eine relative Vervollkommnung in seinem Bereich oder Metier zu erlangen. Er kann daher keine neuen Erfahrungen geniessen, toleriert aber auch kein Verbot. Er duldet keine Trennung von einem seiner Besitztümer, aber auch nicht von seinen Angehörigen.

MIASMATISCHE DYNAMIK — TERTIÄRE PSORA


Egotrophie
Der Beginn der Egotrophie ist gekennzeichnet durch das Bemühen, in der eigenen kleinen Welt Vollkommenheit zu entwickeln. Dies gelingt durch Einhalten einer strengen Ordnung, er sammelt alles, selbst Wertloses und Unsinniges, und ordnet es so, dass er es sofort finden und verwenden kann.
Wenn die Egotrophie weiter fortschreitet, erscheint das Bild eines Traditionalisten, der es nicht nötig hat, sich zu verändern, da er bereits angekommen ist. Er ist ruhig, da er in seiner Position all das findet, was für sein Leben notwendig ist. Es kann eine gewisse Nostalgie nach den alten, viel besseren Zeiten bestehen. Er achtet beispielsweise kaum auf seine abgetragenen Kleider, da er sie für nützlich und vollkommen hält, obwohl sie von aussen betrachtet verschlissen aussehen. Diese Gleichgültigkeit könnte wie Egolyse wirken, ist jedoch Ausdruck seiner Überzeugung, dass er sich nicht weiter entwickeln muss. Parallel dazu übertritt er bestehende Verbote, da diese Haltung ebenfalls seine Weiterentwicklung anzeigt: Er steht über den Dingen muss sich keinen Verboten unterwerfen .
Eine noch weiter getriebene Egotrophie könnte ein gegenteiliges Bild zeigen, einen Menschen nämlich, der jede Veränderung verherrlicht, der die Wohltaten der Transformation rühmt: "Man muss sich wandeln, muss fortschreiten, muss alle Erfahrungen selbst machen."

Egolyse
Er akzeptiert, dass die Notwendigkeit zur ständigen Veränderung nicht aufgehalten werden kann. Er erlebt sich als Opfer fortdauernder Neuerungen, ist jedoch unfähig, diese aufzuhalten und findet daher keinen ruhigen Ort oder Augenblick. Der stete Wandel bezieht sich auf die Zeit, auf seine Umgebung und auf ihn selbst. Es gibt keine Möglichkeit, den ständigen Fluss von Veränderungen aufzuhalten.

Alterolyse
Die anderen sind verantwortlich für seine Angst, sein Leiden und seine mangelnde Stabilität, sie verändern sich ständig, sie wollen heute dies, morgen jenes. Auch im Gefühlsbereich sind sie unbeständig, was dazu führt, dass er leidet.

LEITMOTIV — PRIMÄRE PSORA


Drei Schlüsselbegriffe umfassen das Leitmotiv von Vipera berus. Der wichtigste ist die Unveränderlichkeit. Der Patient kann sich nicht auf neue Erfahrungen einlassen, sich nicht an ihnen freuen. Der zweite Begriff ist Ordnung. Der Vipera-berus-Mensch versucht, eine stabile, unveränderliche Ordnung aufrechtzuerhalten, um sich nichts Neuem aussetzen zu müssen. Der dritte Begriff ist das Verbot, das Vipera berus nicht akzeptieren kann. Im Bemühen, seine Vollkommenheit zu zeigen, lehnt er jede neue Erfahrung ab, hält er eine stabile Ordnung aufrecht, und widersetzt er sich jedem Verbot.

Transzendenter Wert
Gott ist vollkommen. Der lateinische Ausdruck "perfectum" kann mit "vollkommen", aber auch mit "vollendet" übersetzt werden, womit er auf den Entwicklungsaspekt verweist. Die Vollkommenheit entsteht durch die Vollendung einer Entwicklung. Dies gilt für alles Geschaffene, auch für den Menschen. Er ist unvollkommen erschaffen, hat aber die Möglichkeit zur Höherentwicklung. Der Mensch befindet sich damit in einer eigenartigen Durchgangssituation: Er ist vollkommen in Bezug auf seine Möglichkeiten, diese zu entwickeln, jedoch absolut unvollkommen in Bezug auf die vollzogene Verwirklichung dieser Vollkommenheit. Der Weg des Menschen führt zur Vollendung, Ziel und Ausgangspunkt dieser Vollendung ist Gott.
Gott ist die erste nicht bedingte Wirkursache von allem und damit absolut vollkommen. Er gibt als Ausgangspunkt den Abglanz seiner Vollkommenheit an die Schöpfung weiter, diese muss sich jedoch vollenden. Das Ziel des Menschen ist die Vollkommenheit Gottes. Der Mensch hat sie bereits als Möglichkeit, so wie die Vorstellung von einem Ziel diesem selbst notwendigerweise vorausgehen muss.
Vipera berus beneidet Gott um seine Vollkommenheit, die von vorneherein besteht und nicht erst erworben werden muss. Gott hat in seinem Reichtum und in seiner Vollkommenheit nichts mehr zu verwandeln, zu entwickeln und zu vollenden. Er besitzt alles vollkommen und total. In ihm sind die Vollkommenheiten aller Dinge vorhanden.

Menschliche Daseinsbedingung
Der Mensch hat Vollkommenheit nur als Möglichkeit. Um sich ihr anzunähern, muss er sich verändern, neue Erfahrungen machen, sich erziehen, sich anstrengen und arbeiten. Es ist ein Weg, den er zu beschreiten hat und bei dem nicht von vorneherein klar ist, wie weit er auf ihm gelangen wird.
Auf diesem Weg gibt es Hilfe. So wie Gottes Vollkommenheit als Richtschnur und Wegweiser dient, geben auch alle bereits weiter Entwickelten und relativ Vollkommeneren ihre Hilfe weiter.
Eltern und Lehrer weisen zum Beispiel den Weg, versuchen vor Gefahren, Sackgassen und Umwegen zu warnen. Dazu dienen auch Verbote, die vor negativen oder gefährlichen Erfahrungen schützen sollen.
Vipera berus lehnt all diese Daseinsbedingungen ab. Er möchte die Vollkommenheit nicht erst entwickeln müssen und auch nicht von jemandem abhängen, der ihm seine Unvollkommenheit ständig vor Augen führt. Stattdessen möchte er bereits vollendet sein, und die Vollkommenheit unmittelbar und sofort erlangen.

Kerne

Schuld
Die Möglichkeit, Vollkommenheit langsam und in unsicherem Ausmass durch Anstrengung und Arbeit entwickeln zu müssen, wird abgelehnt. Ebenso die menschliche Notwendigkeit, bei dieser Entwicklung geführt zu werden. Er will die Vollkommenheit und damit alle Dinge sofort besitzen.

Verlust
Dieser ist durch eine paradoxe Situation gekennzeichnet, die mit den Begriffen Tradition und Verbot beschrieben werden kann:
Die eine Seite ist die, dass Vipera berus sich nicht auf neue Erfahrungen einlassen, sich nicht an ihnen freuen oder sie geniessen kann, denn diese zeigen ihm immer nur seine mangelnde Vollendung. Er tendiert daher zur Tradition, zur Gewohnheit, zur Unveränderlichkeit, alles muss gleich bleiben.
Auf der anderen Seite kann er keine Verbote akzeptieren. Er sieht nur die negative und restriktive Seite daran und nicht, dass es vor Schaden schützen kann. Ein Verbot zeigt ihm, dass es jemanden gibt, der weiter entwickelt und daher weitsichtiger ist als er. Dies beweist ihm seine eigene Unvollkommenheit. Er neigt daher zu einer Übertretung des Verbotes, um seine eigene Vollendung zu beweisen.

Strafe
Jede von aussen kommende seelische oder physische Anforderung bedeutet Veränderung und ist somit Gift für ihn. Neben der Störung seiner Ordnung ist die schlimmste Strafe der Verlust seiner Güter. Er fürchtet, alles zu verlieren, seine Werte, seine Objekte, seinen Besitz, er sieht sich als Clochard enden, heimat- und besitzlos.

INTERPRETATION einzelner Themen oder Symptome


Bösartigkeit (Thema 7)
Diese gehört zum Thema Verbot. Sie ist Ausdruck der Egotrophie: "Ich übertrete ein Verbot oder kränke eine Autorität, da ich selbst schon so weit entwickelt bin."

Vorstellungskraft (Thema 8)
Will nicht, dass man Licht anzündet: Er lehnt jede kleinste Änderung ab, wie in diesem Fall die vom Dunkel zum Licht. Man könnte mehr sehen, Neues sehen, was er nicht will.
Angst in der Dämmerung: Die Dämmerung steht für den Übergang vom Tag zur Nacht und stellt damit ebenfalls eine Veränderung dar.
Er hat das Bild einer Katze vor den Augen, die auf dem Boden liegt mit einem Fisch an ihrer Seite, ausgestreckt auf etwas Rotem. — Als sei er die Katze und benötige nichts mehr, nicht einmal den Leckerbissen an seiner Seite!
Er spielt Hund: Der Hund ist der Freund des Menschen, der all dessen Güter — Haus, Familie, Freunde — geniesst, ohne dafür arbeiten zu müssen.

Türe (Thema 9)
Während des Schlafs muss die Tür unbedingt geschlossen sein. Er will nicht wissen, dass es ausserhalb seines Platzes Dinge gibt, die er nicht kennt.

Orthographie (Thema 10)
Er lehnt es ab, wörtlich richtig zu schreiben. Er weiss selbst, was richtig ist, er möchte keine von aussen gestellte Regel akzeptieren, er übertritt diese, indem er falsch schreibt.

Schwellung (Thema 12)
Analoge Begriffe sind wachsen, sich entwickeln, hinauf, aufwärts. Hier klingt die Höherentwicklung hin zur Vervollkommnung an. Ein anderer analoger Begriff ist ansammeln, die Schwellung wäre damit eine Strafe für das extreme Sammeln auch von nutzlosen und alten Dingen.
Ebenfalls hierher gehört der extreme Durst (Thema 20). Die andere Seite zeigt sich in der Entleerung: er kann die Körperbestandteile nicht halten, so wie er die Objekte verliert oder befürchtet, sie zu verlieren.

Im Zusammenhang mit der Furcht vor Veränderung, bzw. der Weigerung, sich zu verändern, stehen die Themen Farbveränderung (13), Wetterwechsel (14), jährlich wiederkehrende Beschwerden (15), Entwicklungsstörungen (16) und Gewebe- und Blutveränderungen (17).

Sehen (Thema 21)
Er ist bestraft im Sehen, weil er nicht bereit ist, Neues aufzunehmen und anzusehen.

ANDERE HYPOTHESEN


Die oben dargestellte Hypothese wurde von der AFADH und Dr. Masi, ausgehend von den Symptomen eines Patienten von Dr. Simonne Fayeton, erarbeitet. Diesem Patienten wurde Vipera berus mit sehr grossem Erfolg verordnet, so dass man von einer Simillimum-Verschreibung ausgehen kann. Die Hypothese wurde in mehreren Fällen klinisch bestätigt.

DIFFERENTIALDIAGNOSE


Plumbum
Weist ebenfalls das Thema Verbot und Übertretung des Gesetzes auf, es steht jedoch bei Plumbum zentral und ist nicht Ausdruck des Verlangens, seine eigene Vollkommenheit zu zeigen.

Carbo vegetabilis
Gemeinsam ist das Thema der Veränderung. Bei Carbo vegetabilis liegt das Schwergewicht jedoch auf der Tatsache, dass eine Veränderung unternommen werden muss, dass man von der Möglichkeit einer Entwicklung zu ihrer Verwirklichung fortschreiten muss. Bei Vipera berus wird durch die Veränderung nur der Weg deutlich, den man zur Vollendung beschreiten muss, um dann zur Unveränderlichkeit, d.h. zur Vollkommenheit zu gelangen. Carbo vegetabilis weigert sich, eine Veränderung zu unternehmen, ohne dass andere Erwägungen wie z.B. die Vollkommenheit miteinbezogen werden.

Calcium fluoricum
Beiden Arzneien gemeinsam ist die Veränderung. Das Hauptproblem ist bei Calcium fluoricum das Erhalten, das Konservieren. Jede Veränderung ist gleichbedeutend mit Verderben, Verwesen und Fäulnis.

Cedron
Auch hier geht es um Veränderung. Gottes Wissen ist unwandelbar.

Weitere Differentialdiagnosen sind Niccolum und Manganum.

THOMAS VON AQUIN


In der Theologie des Thomas von Aquin wird Gott als höchste Vollkommenheit verstanden. Er ist die erste voraussetzungslose Wirkursache, die jede andere Entwicklung anleitet. Gleichzeitig ist Gott das höchste Gut (Summum bonum), zu dem jede Entwicklung hin tendiert.
Nach Thomas von Aquin kann eine Höherentwicklung niemals durch ein Niederentwickeltes angetrieben werden, sondern bedarf immer eines Höherentwickelten, das gleichzeitig Antrieb und Zielpunkt darstellt. Die sich in Entwicklung befindliche Welt fordert daher eine erste Wirkursache und auch einen Zielpunkt der Entwicklung. Diese beiden Dinge fallen in Gott zusammen. (ST I 4.1 und 4.2). Gott ist jedoch nicht nur vollkommen, in ihm sind vielmehr die Vollkommenheiten aller Dinge vorhanden, da ihm kein Vorzug abgeht der in irgendeiner Gattung angetroffen werden könnte. "Darum Gott die vorderste Wirkursache der Dinge ist, so gehört es sich, dass aller Dinge Vollkommenheiten in Gott in Überraglichkeit vorherbestehen." (ST I 4.2)

ZUR SUBSTANZ


Vipera berus, die Kreuzotter, gehört zu den Vipern. Die Familie der Vipern steht in ihrer Entwicklung zwischen den Giftnattern (z.B. Naja tripudians und Elaps corallinus) und den Grubenottern, den Klapperschlangen (z.B. Crotalus horridus, Crotalus cascavella und Crotalus mutus, Lachesis). Der Giftapparat der Vipern ist relativ hoch entwickelt. Ihre Giftzähne sind Injektionskanülen und haben nicht mehr die bei Nattern üblichen Furchen zur Einbringung des Gifts. Ausserdem sind sie mit einem Mechanismus versehen, der den Giftzahn wie bei einem Taschenmesser bei Öffnung des Mundes aufklappen und beim Schliessen einklappen lässt. Das Gift ist ein Hämotoxin, das zu einem schnellen Herztod führt.
Vipera berus ist eine sesshafte Schlange, die das Leben am besten in kühlen Regionen erträgt und ihren Wohnbereich sehr genau kennt, vor allem die Lage der Unterschlüpfe. Durch diese genaue Kenntnis ihres Quartiers kann sie Feinden entkommen. Entfernt man eine Viper aus ihrer Gegend, kann sie diese später wiedererkennen.
Aufgrund der Beobachtung, dass eine weibliche Viper nur das Näherkommen ihres Partners duldete, bei anderen Männchen hingegen aggressiv reagierte, folgerte man, dass Vipern monogam leben.

QUELLEN


Autor: Stefan Preis, Materia Medica Homoeopathica – revidiert nach Dr. Alfonso Masi-Elizalde


Die Kasuistik von Dr. Simonne Fayeton findet sich in den Veröffentlichungen der AFADH

A Allen T.F., The Encyclopedia of pure Materia Medica, New Delhi 1988, Band 10
ST Thomas von Aquino, Summe der Theologie, Hrsg. von Joseph Bernhart, Stuttgart 1985
Do Dornseiff, Franz, Der Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen. Berlin, New York 1970 Grzimek’s Tierleben, Band 6
Bild Keines